Erklärungen von Präsident Erdoğan nach den islamistischen Anschlägen in Frankreich

Nov 16, 2020 | Parlamentarische Anfragen

Am 16. Oktober 2020 wurde ein französischer Lehrer, Samuel Paty, geköpft, weil er im Rahmen seines Unterrichts über das Recht auf freie Meinungsäußerung eine Karikatur des Propheten Mohammed gezeigt hatte. Der Angreifer war ein 18-jähriger tschetschenischer Flüchtling, der nach der Ermordung von Samuel Paty ein Bild des enthaupteten Kopfes auf Twitter mit der Überschrift „Ich habe einen Ihrer Höllenhunde hingerichtet, der es wagte, Mohammed zu erniedrigen“ veröffentlichte.

Als Reaktion auf den Anschlag hat Präsident Macron verschiedene Schritte zur Bekämpfung des radikalen Islam in Frankreich angeordnet. Dies wurde scharf kritisiert von Präsident Erdoğan, der öffentlich ankündigte, dass Präsident Macron geistig instabil sei und psychologische Behandlung brauche. Präsident Erdoğan stellte auch Strafanzeige gegen den niederländischen Oppositionsführer Geert Wilders wegen angeblicher Beleidigung des Präsidenten Erdoğan und wegen der Veröffentlichung einer Karikatur des Propheten Mohammed im Internet.

1. Wird die Kommission fordern, dass sämtliche Mittel für die Türkei bedingungslos ausgesetzt werden?

2. Wird sie die sofortige Aussetzung der Zollunion mit der Türkei fordern?

3. Wird sie alle Beitrittsverfahren in Bezug auf die Türkei bedingungslos beenden, da die Türkei eindeutig nicht unsere europäischen Werte teilt und nicht in die EU gehört?

Antwort von Herrn Várhelyi im Namen der Europäischen Kommission

9.2.2021

Nach dem Terroranschlag, bei dem Samuel Paty getötet wurde, hat die Präsidentin der Europäischen Kommission ihre uneingeschränkte Solidarität mit Frankreich bekundet[1].

Angesichts der anhaltenden Rückschritte in zahlreichen Reformbereichen wurde die finanzielle Unterstützung für die Türkei im Rahmen des Instruments für Heranführungshilfe[2] erheblich gekürzt und neu ausgerichtet, insbesondere um türkische Bürgerinnen und Bürger und nichtstaatliche Organisationen, die sich für universelle und europäische Werte einsetzen, zu unterstützen. Die Kommission ist der Auffassung, dass eine vollständige Aussetzung der Finanzhilfe der EU den zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für die Werte und Grundsätze der EU in der Türkei einsetzen, nur schaden würde und der Förderung der Interessen der EU (insbesondere in den Bereichen Klimawandel und Migration) entgegensteht.

Die Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Türkei haben sich in jüngster Zeit verschlechtert, und der relative Anteil der EU am Außenhandel der Türkei ist zurückgegangen[3], wobei immer mehr Abweichungen von den Verpflichtungen der Türkei im Rahmen der Zollunion EU-Türkei festzustellen sind. Die Kommission bringt diese Fragen regelmäßig gegenüber der Türkei zur Sprache und ist der Auffassung, dass die Zollunion beiden Seiten nach wie vor erhebliche Vorteile bringt.

Am 26. Juni 2018 kam der Rat zu dem Schluss, dass die Türkei sich weiter von der Europäischen Union entfernt, die Öffnung bzw. der Abschluss weiterer Kapitel nicht in Betracht gezogen werden kann und die Beitrittsverhandlungen daher praktisch zum Stillstand gekommen sind[4]. Der Rat bekräftigte jedoch, dass die Türkei nach wie vor ein Bewerberland und in vielen Bereichen ein wichtiger Partner ist. Der Europäische Rat bekräftigte ferner am 10. Dezember 2020 das strategische Interesse der EU an der Entwicklung einer kooperativen und für beide Seiten nutzbringenden Beziehung zur Türkei[5].

[1] https://twitter.com/vonderleyen/status/1320412046962401280?s=08

[2] https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/instruments/overview_en

[3] https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf

[4] https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-10555-2018-INIT/de/pdf

[5] https://www.consilium.europa.eu/de/meetings/european-council/2020/12/10-11/