Einführung einer allgemeinen und/oder berufsbezogenen Impfpflicht in Deutschland

Feb 8, 2022 | Parlamentarische Anfragen

Die deutsche Bundesregierung diskutiert derzeit über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, wobei deren Ausgestaltung aktuell Gegenstand parteipolitischer Erwägungen ist. Eine berufsbezogene Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitssektor tritt am 15. März 2022 in Kraft.[1]

Hieraus ergeben sich folgende Fragen:

1. Verstößt die deutsche Bundesregierung mit diesen Plänen gegen die in Artikel 19 Absatz 1 AEUV festgehaltene Nichtdiskriminierung aufgrund der Weltanschauung, gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne von Artikel 26 Absatz 2 und Artikel 45 Absatz 1 AEUV, aber auch gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Artikel 21 Absatz 1 AEUV, da Ungeimpfte im Falle einer allgemeinen Impfpflicht vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden?

2. Artikel 3 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sieht das Recht auf Unversehrtheit vor und schreibt in Bezug auf medizinische Eingriffe die „freie Einwilligung des Betroffenen“ als Grundvoraussetzung vor. Die Notwendigkeit der Freiwilligkeit ohne politischen oder sozialen Druck einer COVID-Impfung im Speziellen unterstreicht auch die Resolution 2361 (2021) des Europarates.[2] Der Verlust des Arbeitsplatzes sowie der Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben laufen dem eindeutig zuwider. Wie gedenkt die Kommission auf die Einhaltung der Grundrechtecharta in Deutschland hinzuwirken?

3. Wird die Kommission dem Rat die Eröffnung eines Verfahrens nach Artikel 7 EUV empfehlen, sollte die allgemeine oder berufsbezogene Impfpflicht in Deutschland eingeführt werden?

[1] https://www.focus.de/gesundheit/coronavirus/die-wichtigsten-fragen-und-antworten-impfpflicht-im-gesundheitswesen-was-sich-fuer-betroffene-am-16-maerz-aendert_id_40258970.html

[2] https://pace.coe.int/en/files/29004/html

Antwort von Didier Reynders im Namen der Europäischen Kommission

4.4.2022

Im Einklang mit Artikel 168 Absatz 7 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind für die Festlegung der nationalen Gesundheitspolitik, für die Organisation des Gesundheitswesens und für die medizinische Versorgung die Mitgliedstaaten zuständig. Damit liegt auch die Verantwortung für die Impfpolitik und die Frage, ob es eine Impfpflicht geben sollte oder nicht, bei den Mitgliedstaaten. Die nationalen Regierungen treffen ihre Entscheidungen über spezifische Maßnahmen jeweils auf der Grundlage der epidemiologischen und sozialen Lage im Land.

Darüber hinaus kann gemäß Artikel 45 AEUV das Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit innerhalb der EU aus Gründen der öffentlichen Gesundheit eingeschränkt werden. Jegliche Beschränkungen müssen jedoch diskriminierungsfrei und verhältnismäßig sein. Solange restriktive Maßnahmen für Arbeitnehmer aus der EU und aus dem jeweiligen Mitgliedstaat gleichermaßen gelten, stellen sie in der Regel keine Diskriminierung dar.

Gemäß Artikel 51 Absatz 1 der EU-Grundrechtecharta gilt diese für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. In Angelegenheiten, die ausschließlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, wie die Festlegung einer Impfpflicht, ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten, im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht und ihren internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte für die Wahrung und den Schutz der Grundrechte zu sorgen.

In Bezug auf die Möglichkeit der Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) sieht der Vertrag einen Mechanismus vor, der aktiviert werden kann, wenn die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung oder einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der in Artikel 2 EUV genannten Werte durch einen Mitgliedstaat besteht. Die Kommission hat keinen Grund zu der Annahme, dass die in Artikel 2 EUV genannten Werte, und insbesondere die Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit, in Deutschland nicht in vollem Umfang geachtet würden.